Die ostkirchlichen Konfessionen

 

Vorbemerkung

Oft meint man, die Ostkirche sei die orthodoxe Kirche, die etwa in ihrer russischen Form durch die beeindruckenden Chorgesänge im Gottesdienst bekannt ist. Aber es gibt in den Ländern des - vom Abendland aus gesehen - Ostens noch eine Menge weiterer, von der orthodoxen Kirche unabhängige und teilweise auch theologisch unterschiedene christliche Konfessionen oder Kirchen. Diese werden als altorientalische Kirchen zusammengefaßt, während die orthodoxe Kirche ihrer geschichtlichen Entstehung nach auch als byzantinische Kirche bezeichnet werden kann. Doch gliedert sich auch diese in viele organisatorisch selbstständige, meist nationale Teilkirchen, da im gesamten ostkirchlichen Raum von Anfang an das Prinzip der regionalen Selbstständigkeit (``Autokephalie'' - jede Kirche hat ihr eigenes Oberhaupt/Patriarchen) galt.

Die folgende Darstellung beschränkt sich weithin auf Zitate aus zwei sehr empfehlenswerten Büchern, mit Ergänzungen oder gelegentlichen Hervorhebungen meinerseits:

Noch eins vorweg: ostkirchliche Christen sind nicht erst in fernen und exotischen Ländern zu finden, sie leben - wenn auch wenig bemerkt - unter uns. ``Mit etwa 1/2 Million Gläubigen sind sie z. Zt. die drittgrößte Kirche in der BRD''. Es wäre es wert, mehr Kontakt zu ihnen zu suchen.

Wir beginnen mit den orthodoxen Kirchen, die zahlenmäßig und vom Verbreitungsgebiet her am bedeutendsten sind.

 

Orthodoxe Kirchen

Wer über die orthodoxen Kirchen reden will, muß mit der Erfahrung im orthodoxen Gottesdienst beginnen.

Leben aus der Liturgie. ``Orthodoxe Frömmigkeit ist Leben aus den Mysterien, insbesondere aus der Eucharistie ...''.- ``Zum orthodoxen Frömmigkeitsleben gehören wesentlich der leibhafte Vollzug sowie die Einbeziehung aller menschlichen Sinne. Dies wird deutlich durch Bekreuzigen, Verbeugungen und Niederknien, ... schließlich durch Gesang, Entzünden von Kerzen und Weihrauchduft.'' Der leibhafte Vollzug und überhaupt eine von der unseren recht unterschiedliche Sicht des Gottesdienstes drückt sich vor allem durch das Stehen als Grundhaltung aus: Sitzen ist die Haltung, in der man Belehrung empfängt; für die Erfahrung des Heiligen, der Anwesenheit Gottes in der ``göttlichen Liturgie'' und überhaupt für das Gebet (die göttliche Liturgie ist von Anfang bis Ende ununterbrochenes Gebet, selbst die Lesungen und die Predigt tragen diesen Charakter) ist aber das Stehen die angemessene Haltung. Der Gottesdienst steht so sehr im Zentrum des orthodoxen Lebens und Denkens, daß Felmy seine Darstellung der orthodoxen Theologie nach den Phasen oder ``Akten'' der Liturgie gliedert und nach Gebetsformulierungen der Liturgie benennt: ``Gesehen haben wir das wahre Licht '' - Theologie der Erfahrung (1. Kapitel), ``Der Unumgrenzte hat sich umgrenzt'' - Christologie (4. Kapitel) usw. Das theologische Denken leitet sich von solchen Formulierungen ab - und nicht etwa umgekehrt.

Gebet. Nach orthodoxem Verständnis sind Gottesdienst und Gebet praktisch austauschbare Begriffe. Das heißt nicht etwa, daß man nur im Gottesdienst beten kann, vielmehr ``muß Gottesdienst beständig sein, mehr eine innere Haltung als eine (zeitlich begrenzte) Aktion ... Das Stehen vor Gott, das beständige Leben in der Gegenwart Gottes ist das eigentliche Gebet in seinem umfassendsten Sinn und seiner äußersten Tiefe ... Ziel ist, daß es unaufhörlich wird ... Ein Christ muß Gottesdienst halten in der Ganzheit seiner Existenz, in allen Situationen seines Lebens``, - und so werden nach diesem Verständnis schließlich auch christliches Leben und Gebet zu nahezu austauschbaren Begriffen. ``Während im Westen - vor allem im Protestantismus - das Gebet nur 1, wenn auch eine besonders wichtige, Lebensäußerung der Kirche ist, spielt es in der kirchlichen Erfahrung der Orthodoxie und in ihrem theologischen Denken eine alles beherrschende Rolle``.- ``So paradox es klingen mag: wenn das Gebet vollkommen ist, hören die Bitten sogar auf - nicht aber die Haltung des Gebets. Das erscheint als ein wichtiges Korrektiv gegenüber einem Denken, das in allen Frage, selbst in der nach dem Sinn des Gebets, vor allem zweckorientiert ist. Orthodoxes Beten verfolgt keinen inhaltlich umschreibbaren 'Zweck'. ...
Dieses Verständnis hat orthodoxes Beten vor den Gefahren bewahrt, denen das Gebet heute im Westen ausgesetzt ist: daß es zu einem Mittel moralischer Appelle oder der Information herabgewürdigt wird, weil die im Gebet ausgesprochenen Bitten und 'Informationen' wesentlicher werden als die Haltung des Betens selbst''.

Sinfonia. Nach diesem Blick auf das innere geistliche Leben, das m.E. an Tiefgang nicht zu überbieten ist, ist noch ein Blick auf das äußere kirchliche Leben erforderlich. Hier ist unübersehbar, daß sich historisch die orthodoxe Kirche in engstem Kontakt mit dem byzantinischen Kaiserhof entwickelt hat, vielfach in Abhängigkeit von ihm - eben in ``Sinfonia''. Was man mit Staatskirche meint, führte die orthodoxe Kirche über die Jahrhunderte hinweg exemplarisch vor. Dies sogar konzeptionell, denn der Ausdruck Sinfonia ist eine offizielle Beschreibung des Verhältnisses von orthodoxer Kirche und Politik des Heimatstaats und wurde nicht von Spöttern oder Gegnern geprägt. So konnte im 18. oder 19. Jahrhundert in Rußland die Frage aufkommen, ob jemand, der die Liturgie verändern wollte, noch ein guter Staatsbürger sei. Auf dieser Ebene ist die Kirche eine herrschende Kirche, die sich die Herrschaft mit den weltlichen Herren teilt, oder dies zumindest ihrem Selbstverständnis nach tun möchte. Wie sehr das zum Widerspruch mit dem spirituellen Reichtum führen und blockierend wirken kann, hat das Beispiel der serbischen Kirche im Jugoslawienkonflikt des letzten Jahrzehnts gezeigt. Für viele - z.B. Leo Tolstoi - bewies deshalb die Sinfonia der Kirche mit dem Staat, daß die Kirche der 3. Versuchung, der zur Macht, der Jesus in der Wüste noch widerstanden hatte, erlegen war.

 

Altorientalische Kirchen

Zu ihnen nur jeweils einige kurze Anmerkungen. Vorbereitend sei erwähnt, daß ab 325 in einer Reihe von ``ökumenischen Konzilien'' die wesentlichen Lehren der christlichen Theologie verbindlich formuliert wurden, vor allem die Dreieinigkeitslehre und die Lehre von den 2 Naturen Christi - göttliche und menschliche Natur gleichberechigt, ``unvermischt und ungetrennt'' (451 in Chalcedon).

 

Die koptische Kirche

``Die Stadt Alexandria an der ägyptischen Mittelmehrküste war eine frühe Hochburg christlicher Theologie gewesen. Seit 451 leisteten die ägyptischen Christen aber den Beschlüssen des Konzils von Chalcedon und der Reichskirche, in der sie galten, Widerstand''. Die Kopten blieben ``Monophysiten'', für die die menschliche Natur Christi sekundär war. ``Durch das gewalttätige Vorgehen der byzantinischen Reichskirche, das die Ägypter in ihrem Nationalstolz verletzte, wurden die Monophysiten zu einer eigenen Kirchenbildung gedrängt. ... Im Jahr 640 besetzten die moslemischen Araber das Land. Die Kopten empfanden sie als Befreier'' von der Bedrängung durch den byzantinischen Patriarchen.

 

Die äthiopische und die armenische Kirche

In enger Verbindung mit der regen koptischen Missionstätigkeit in Afrika entstand im 4. Jahrhundert die äthiopische Kirche - die einzige altorientalische Kirche, die über 1 1/2 Jahrtausende hinweg nie unter nichtchristliche Herrschaft geriet, mit einer stark judenchristlich und monastisch geprägten Kultur. Ebenso alt und mit ähnlichem Anspruch auf die Bezeichnung ``älteste christliche Volkskirche'' ist die Kirche in Armenien, die sich wie die koptische gegen die Lehre von den 2 gleichberechtigten Naturen Christi entschied. ``In den entsetzlichen Massakern unter der Türkenherrschaft wurde sie zwischen 1894 und 1914 zum großen Teil vernichtet bzw. in alle Welt zerstreut''.

 

Die syrischen Kirchen

Ebenfalls von Annahme oder Ablehnung der Konzilsaussage von den zwei gleichberechtigten Naturen Christi sind 2 Kirchen im türkisch-syrischen Raum geprägt: die dem Monophysitismus zuneigende ``syrisch-orthodoxe'' und die ``nestorianische'' ostsyrische Kirche, die vor allem die Menschennatur Christi hervorhebt. Es ist wenig bekannt, daß viele türkische Gastarbeiter der ostsyrischen Kirche angehören, die heute noch aramäisch, die Muttersprache Jesu, spricht. Wie alle Ostkirchen pflegen auch sie ihre bis ins 4. Jahrhundert zurückreichende Gottesdienstordnung mit reichen liturgischen Gesängen.

 

Schlußbemerkungen

Wie wir gesehen haben, gab es schon sehr früh in der Kirchengeschichte Trennungen, denn nicht alle Kirchen haben alle Konzilsbeschlüsse anerkannt, und Machtstreben und persönliche Eitelkeiten der Kirchenführer spielten ebenfalls eine bedeutende Rolle. Dabei muß man sich klarmachen, daß sich keine der großen Kirchen ihrer theologischen Fundierung nach primär vom Evangelium her definiert, sondern vor allem von den theologisch-dogmatischen Festlegungen der Konzilien zwischen 325 und 451. Das heißt, konstitutiv für sie - etwa im Vergleich mit anderen Religionen - sind vor allem die Dogmen von der Dreieinigkeit Gottes und von den zwei Naturen Christi, und nicht beispielsweise die Bergpredigt oder die Aussendungsrede aus Matthäus 10. ``Metaphysische'', zeitlose Gültigkeit beanspruchende Wahrheitssätze über Gott erhielten damit in der Theologie den Vorrang vor dem praktischen Lebensvollzug.

Was bedeutet das heute für die Ökumene? Sollen wir z.B. sagen, die nestorianischen Christen sind keine richtigen Christen, weil sie die göttliche Natur Christi nicht ``richtig'' sehen?


Eine weitere ökumenisch wichtige Frage im Zusammenhang mit den Ostkirchen sind die Unionen östlicher Kirchen mit der römisch-katholischen Kirche (zB in der Ukraine), die zu nicht geringen Problemen geführt haben.

Ebenfalls nur erwähnt sei schließlich, daß die orthodoxen Kirchen in der weltweiten ökumenischen Zusammenarbeit, im 1948 gegründeten Ökumenischen Rat der Kirchen, eine bedeutende Rolle spielen, die allerdings in den letzten Jahren vor allem aufgrund der von den westlichen protestantischen Kirchen zunehmend thematisierten Frauenordination gelitten hat.

Peter Hiltner

 



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